– das geht?!

Nadine ist 24 und gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte. Sie hat mit 16 ihre mittlere Reife gemacht – mit durchschnittlichen Noten, denn „das war nicht so cool, wenn man in der Schule so ein Streber war“.  Weiter zur Schule zu gehen und das Abitur zu machen kam für sie nicht infrage: „Meine Noten waren ja nicht so gut, und ich hatte auch genug von der Schule. Außerdem haben meine Eltern gesagt: Lern lieber was Anständiges, dann stehst du auf eigenen Füßen.“ Sie machte eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten – mit großer Begeisterung, was sie selbst überraschte. Eigentlich, sagt sie, hat sie die Wahl nach ihrer Lieblingsfernsehserie getroffen: „Die spielte in so einer Anwaltskanzlei, das fand ich total schick.“ Jetzt lacht sie über sich selbst, aber sie ist trotzdem froh über ihre Entscheidung. Der Beruf macht ihr Spaß, sie hat ihre Ausbildung sehr erfolgreich beendet, ist übernommen worden, bekommt beständig Weiterbildungsangebote, und ihre Arbeitgeber sind sehr zufrieden mit ihr – so zufrieden, dass einer von ihnen sie kürzlich darauf ansprach, ob sie denn nicht lieber eine „richtige Juristin“ werden und das Fach studieren wolle. „Da war ich ganz platt“, sagt Nadine, „ich wusste gar nicht, dass das geht – Studieren ohne Abitur.“

Mit Meisterbrief oder Aufstiegsqualifikation an die Uni

Wie Nadine ergeht es vielen, die mit 15 oder 16 noch keine wirkliche Vorstellung von ihren beruflichen Zielen haben und deshalb „erst mal“ die mittlere Reife machen, die sich nicht für zwei oder drei weitere Schuljahre motivieren mögen oder die aus praktischen Gründen lieber schnell in ein Ausbildungsverhältnis wechseln. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, der Zug in die akademische Welt sei damit für immer abgefahren, doch das stimmt mitnichten. Seit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz im Jahr 2009 schreitet die Öffnung der Unis und Hochschulen für Bewerber ohne Abitur stetig voran; derzeit studieren ohne Abitur deutschlandweit mehr als 32 000 Menschen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung weder auf dem klassischen ersten Bildungsweg (Gymnasium oder Gemeinschafts-/Gesamtschule mit anschließender Oberstufe) noch auf dem zweiten (Fach- oder Abendschule, Abitur) erworben haben. Die Anerkennung beruflicher Qualifikation als Zugangsberechtigung für ein Hochschulstudium ist zwar noch nicht bundesweit einheitlich geregelt, aber es gibt einerseits Richtlinien, die für alle gelten, und andererseits Individualregelungen der einzelnen Institutionen, die von den Bewerbern ganz unterschiedlich genutzt werden können.

Ganz allgemein gilt für das Studieren ohne Abitur: Wer einen Meistertitel oder einen anderen hoch qualifizierten Abschluss wie Fachwirt oder Techniker hat, der hat in allen Bundesländern bis auf Brandenburg einen unmittelbaren, prüfungsfreien Hochschulzugang zu Fachhochschulen und Universitäten sowie zu allen Studiengängen. Diese Abschlüsse sind bundesweit – außer eben in Brandenburg – der Hochschulreife gleichgesetzt und ermöglichen das Studieren ohne Abitur.

Andere Aufstiegsfortbildungen schließen in der Regel mit einer staatlichen oder einer entsprechenden IHK-Prüfung ab. Damit kann man sich in der Regel direkt für ein Bachelorstudium einschreiben oder bewerben; dabei werden die eingereichten Nachweise von der jeweiligen Zulassungsstelle der Hochschule geprüft. Vielerorts, nämlich in allen öffentlichen Hochschulen der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen, wird allerdings zusätzlich vor der Einschreibung ein verpflichtendes Beratungs- bzw. Eignungsgespräch vorausgesetzt.

Berufserfahrung allein reicht in der Regel nicht aus

Wer keinen Meisterbrief und keine Aufstiegsfortbildung vorweisen kann, hat dennoch Möglichkeiten, Zugang zu einer Hochschule und damit zu einem Studium zu bekommen. Als „beruflich Qualifizierte“ gelten Bewerber mit einer Ausbildung von wenigstens zwei Jahren sowie mindestens dreijähriger Berufserfahrung. „Fachtreue Bewerber“, die ihre Berufsausbildung ergänzen möchten, erhalten ihre Zulassung zum Teil ohne weitere Prüfung. Als solche gilt Nadine, wenn sie demnächst ihre Unterlagen bei der Zulassungsstelle einreichen wird: Als Rechtsfachwirtin kann sie sehr wohl Jura studieren, zu Biologie oder Kernphysik hingegen würde sie nicht zugelassen. Da die Verbindung zwischen Ausbildung und Studienfach nicht immer so eindeutig ist, entscheidet im Zweifel die zuständige Fakultät, ob sie z. B. einen gelernten Installateur zum Raumfahrtingenieursstudium zulässt. Je nach Bundesland, Studiengang und Hochschule ist dabei mit zusätzlichen Prüfungen rechnen. Das kann beispielsweise eine Zulassungsprüfung sein, die die Studierfähigkeit des Bewerbers im Allgemeinen testet und der nicht selten ein verpflichtendes Beratungsgespräch vorausgeht, oder eine Begabtenprüfung, die sich an den Anforderungen des Abiturs orientiert. Für diese Prüfung sind ein Mindestalter von 25 Jahren und wenigstens fünf Jahre Berufserfahrung erforderlich. Im Gegensatz zur Zulassungsprüfung, die nur zum Studium an einer bestimmten Hochschule beziehungsweise in einem bestimmten Bundesland berechtigt, ermöglicht das Bestehen der Begabtenprüfung aber auch den bundesweiten Hochschulzugang. In beiden Fällen gelten aber natürlich weiterhin die allgemeinen Zulassungsbeschränkungen bzw. -regelungen auch für Bewerber ohne Abitur.

Manche Unis fordern überdies von Bewerbern ohne Abitur, die sich für zulassungsfreie Studiengänge interessieren, ein Probestudium von zwei bis vier Semestern, in dessen Rahmen eine Mindestanzahl an Credit-Points erreicht werden muss. Ist der Bewerber erfolgreich, darf er sein Studium in der Regel nahtlos fortsetzen.

Medizin studieren ohne Abitur

Auch das Medizinstudium ist theoretisch für Bewerber ohne Abitur zugänglich. Studieninteressierte mit einem Meistertitel sowie beruflich Qualifizierte mit fachnaher Ausbildung können sich hierbei direkt auf hochschulstart.de, der zentralen Vergabeplattform für medizinische Studiengänge, bewerben. Allerdings entspricht eine Berufsausbildung in der Regel einer Abiturdurchschnittsnote von 4,0. Um die mehrjährige Wartezeit zu umgehen und die Note zu verbessern, können die Studienbewerber freiwillig eine Zugangsprüfung absolvieren.

Studieninteressierte mit einer Berufsausbildung in einem inhaltlich nicht verwandten Fach müssen diese Zugangsprüfung ablegen und können sich dann erst mit der so erworbenen Note auf hochschulstart.de bewerben.

Begrenzte Anzahl an Studienplätzen

Natürlich gibt es – trotz der generell beschlossenen Öffnung der Hochschulen für Bewerber ohne Abitur – auch in diesem Bereich wieder eine Quote für die Vergabe von Studienplätzen. Bisher sind lediglich zwischen drei und zehn Prozent der Studienplätze für Bewerber reserviert, die ohne Abitur studieren möchten. Sollte die Anzahl der Bewerber höher sein, als die Quote zulässt, kann die jeweilige Hochschule Auswahlgespräche anberaumen, in deren Verlauf die Eignung des Bewerbers für das Studium geprüft wird. Natürlich fließen auch die Bewerbungsunterlagen in das Auswahlverfahren mit ein. Bei gleicher Eignung entscheidet dann im Regelfall das Los.

Unterstützung durch den Arbeitgeber

Nadine hofft, dass ihre Zulassung ohne Probleme ablaufen wird, und sie hat guten Grund, optimistisch zu sein. Ihre Arbeitgeber haben sie bei der Bewerbung großartig unterstützt, und sie hat sich gründlich und sorgfältig informiert: „Es gibt Seiten im Internet, auf denen man gezielt danach suchen kann, wo man welchen Studiengang ohne Abitur studieren kann – seriös und übersichtlich ist z. B. www.hochschulkompass.de“, und Nadine hat sich zugleich an mehreren Hochschulen beworben, die für sie interessant und gut erreichbar sind. Sollte sie eine Zulassungsprüfung machen müssen, sieht sie das ganz entspannt. „Ich habe so viel gelernt in meiner Ausbildung und in den letzten drei Jahren im Beruf“, sagt sie voller Selbstvertrauen, „ich weiß, was ich kann.“ Dass ihre Arbeitgeber das auch wissen und ihr schon jetzt den Referendarsplatz in ihrer Kanzlei angeboten haben, stärkt sie in ihrem Vorhaben – und in der Gewissheit, dass ein Studienbeginn mit 24 überhaupt nicht „viel zu spät“ ist, wie ihre skeptischen Eltern anfangs eingewendet haben. „Wenn ich fertig bin, bin ich noch nicht mal dreißig – wenn‘s gut läuft. Dann hab ich noch ganz schön viele Jahre Arbeitsleben vor mir. Da lohnt es sich doch, weiterzumachen, bis man wirklich in seinem Traumberuf gelandet ist.“

Neben der Wahl des passenden Studienfachs ist auch die Art des Studiums insbesondere für Berufstätige ein wichtiges Kriterium. So macht es einen erheblichen Unterschied, ob Sie ein Präzenzstudium aufnehmen oder sich für ein Fernstudium entscheiden. Wir unterstüzen Sie sowohl bei der Frage der persönlichen Eignung für ein Studium als auch bei der Wahl der passenden Studienform. Informieren Sie sich über unsere Beratungsangebote oder nehmen Sie bei Fragen mit uns Kontakt auf.

Hilfreiche Links zu externen Webseiten

Studieren ohne Abitur wird auch bei bestimmten Voraussetzungen finanziell unterstützt. Stipendien, die sich ausschließlich an Studierende ohne Hochschulreife wenden, sind das Aufstiegsstipendium des Bundes des Bundesministeriums für Bildung und Forschungsowie ein Stipendienprogramm “Dritter Bildungsweg” der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.