Interview mit einem Aktienanalysten für Cleantech-Unternehmen

Geschlecht: männlich
Arbeitet als: Aktienanalyst für Cleantech-Unternehmen
Alter: 43 Jahre

1. Was macht ein Aktienanalyst?

Ich analysiere und erkläre Geschäftsmodelle, porträtiere Unternehmen, sehe mir Branchen an und versuche, die Wettbewerbsposition eines Unternehmens in dieser Branche zu verstehen. Ich betrachte mir die Produktpalette des Unternehmens, sehe mir an, wer die Produkte kauft und wer die Lieferanten sind. Ich analysiere die Position des Unternehmens in der Wertschöpfungskette und die Wertschöpfungstiefe. Bei größeren Unternehmen betrachte ich die verschiedenen Unternehmenssegmente und die Positionierung in Auslandsmärkten.

Meine Informationsquellen sind die jährlichen Geschäftsberichte, Quartalsberichte, Unternehmensnachrichten und -informationen sowie Brancheninformationen. Außerdem beschäftige ich mich intensiv mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen und deren Veränderung.

Ich analysiere die Bilanz, um die Vermögenslage, die Ertragslage und die Liquiditätsflüsse zu verstehen. Und ich werfe einen Blick in die Glaskugel: Wie wird sich das Unternehmen entwickeln? Ich schätze die Umsatz- und Gewinnentwicklung des Unternehmens in den nächsten Jahren und versuche, den fairen Börsenwert des Unternehmens über ein so genanntes Discounted-Cashflow-Modell zu ermitteln. Ist mein errechneter Wert höher als der aktuelle Börsenwert, empfehle ich die Aktie institutionellen Investoren zum Kauf.

Ich besuche die Unternehmen, die ich betreue, um mir vor Ort ein Bild zu machen. Außerdem nehme ich das Management zu Roadshows mit, das sind Reisen in die Finanzmetropolen Europas. An einem Tag werden ca. 5-7 institutionelle Investoren besucht und das Management hat die Gelegenheit, das Unternehmen zu präsentieren. Ich besuche regelmäßig Investorenkonferenzen und Veranstaltungen im Cleantech-Bereich.

Wenn ich ein Unternehmen neu betreue, schreibe ich eine ausführliche Studie über das Unternehmen. Wesentliche Inhalte sind die Erklärung des Geschäftsmodells, und der Wettbewerbsposition, der Vermögens-, Finanz- und Liquiditätslage. Ich erkläre meine Prognosen zur Unternehmensentwicklung und führe eine Bewertung durch. Außerdem erkläre ich die Märkte, in denen sich das Unternehmen bewegt und biete einen Überblick über die Produktpalette und das Management. Darüber hinaus führe ich eine SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken) durch.

Später kommentiere ich kapitalmarktrelevante Meldungen des Unternehmens in kürzeren Updates. Meine Studien werden auf den großen Plattformen für institutionelle Investoren wie z.B. Bloomberg oder Reuters veröffentlicht und über eine Verteilerliste an unsere Kunden geschickt. In Gesprächen mit Investoren gebe ich diesen meine Einschätzung zum Unternehmen. Darüber hinaus versuche ich aktiv, neue Kunden zu gewinnen, indem ich Unternehmen besuche und Ihnen meine Dienstleistungen anbiete.

2. Wann wussten Sie, dass Sie einmal diesen Beruf ergreifen würden?

Eigentlich bin ich Volkswirt. Als ich nach meiner Promotion in Hamburg einen Job suchte, fand ich nichts typisch Volkswirtschaftliches. Da ich mich für erneuerbare Energien interessierte, bewarb ich mich auf die Stelle eines Aktienanalysten mit Schwerpunkt erneuerbare Energien. Als ich die Stelle bekam, wusste ich, dass ich Aktienanalyst würde.

3. Wie verlief die Ausbildung?

Ich habe eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht und danach in Hamburg und Aberdeen (Schottland) Volkswirtschaftslehre studiert. Ich bin niemals zum Aktienanalysten ausgebildet worden, sondern habe mein Handwerkszeug „on the job“ gelernt.

4. Welche Inhalte oder Themen haben Ihnen in der Ausbildung, vorher in Schule und Freizeit und jetzt im Beruf besonders viel Spaß gemacht?

  • Schule/Freizeit:In der Schule mochte ich Mathe, Englisch und Deutsch.
  • Ausbildung: Im Fach Bankbetriebslehre fand ich Gefallen an den Feinheiten des breitgefächerten Bankgeschäfts.
  • Beruf: Ich bin immer neugierig auf die Entwicklung der Solar-, Wind-, Biogas-, Biokraftstoff- und Kraftwärmekopplungsindustrie.

5. Wo arbeiten Sie momentan? 

Ich arbeite bei einem kleinen Finanzdienstleister.

6. Wie verläuft ein typischer Arbeitstag?

Ich komme um ca. 8:15 ins Büro, wir machen um 8:30 unsere morgendliche Besprechung, in der meine 4 Kollegen und ich kurz darstellen, woran wir arbeiten. Danach sehe ich mir meine Emails an und verschaffe mir einen Überblick darüber, ob es bei meinen Unternehmen Neuigkeiten gibt, die eine Reaktion von mir erfordern. Ist dies der Fall, rufe ich das Management an und spreche die Neuigkeiten durch. Anschließend erarbeite ich einen Kommentar und veröffentliche diesen. Ansonsten arbeite ich an meinen Studien und an meinen Excel-Modellen. Ich spreche regelmäßig mit institutionellen Investoren, die sich für die Unternehmen interessieren, die ich betreue. Mittags verlasse ich das Büro und gehe Mittagessen. Nachmittags arbeite ich weiter an meinen Projekten.

7. Gibt es Routine in Ihrem Beruf? Wenn ja, worin besteht sie?

Das Prinzip wiederholt sich natürlich: Studien schreiben, Updates verfassen, Modelle bauen. Aber jedes Unternehmen ist neu und anders.

8. Wie viel Zeit verbringen Sie mit welchen Tätigkeiten?

  • am Schreibtisch/PC:An einem normalen Arbeitstag sitze ich permanent vor dem PC.
  • am Telefon:Im täglichen Schnitt vielleicht 0,5 – 1 h.
  • unterwegs: Durchschnittlich alle 14 Tage einen Tag.
  • mit anderen Menschen:Einmal die Woche ca. 2 h, wenn Unternehmensmanager zu Besuch kommen oder ich ein Unternehmen besuche oder Konferenzen.
  • mit Vorbereitung/Recherche/Literatur:Täglich ca. 2-3 h

9. Was ist besonders toll an Ihrem Beruf?

Der Kontakt mit Unternehmenslenkern, das Schaffen eines Werkes, z.B. einer großen Studie, das Hineinarbeiten in neue Themen.

10. Was gefällt Ihnen nicht so gut?

Wenn die Unternehmen ihre Quartalszahlen berichten, fällt viel Arbeit an, die möglichst schnell erledigt werden muss. Das kann stressig sein. Grundsätzlich bin ich gerne auch mal unterwegs, aber früh aufstehen, ins Flugzeug steigen und abends spät wieder zu Hause zu sein, kann auch sehr anstrengend sein.

11. Was würden Sie anderen Menschen raten, die Ihren Beruf ergreifen wollen?

Als promovierter Volkswirt habe keine Lust mehr gehabt, noch berufsbegleitend den CFA (Certified Financial Analyst) zu machen. Aber besser wäre es schon, auch theoretisch noch genauer Bescheid zu wissen.

In unserer Branche gibt es das geflügelte Wort von den 3 As: „Absolut sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit“. Man sollte nicht schüchtern sein, keine Berührungsängste haben, auf Menschen zugehen können und darf sich auch nicht von gestandenen Managern ins Bockshorn jagen lassen.

Man sollte Freude am texten und an Zahlen haben und Neugier, denn auf meinem Schreibtisch landen jede Woche neue Unternehmen, neue Geschäftsmodelle, neue Projekte. Sie sollten Lust haben, den Dingen auf den Grund zu gehen und die richtigen Fragen zu stellen. Sie müssen ein Gefühl für die Fähigkeit von Managern und die Tauglichkeit von Geschäftsmodellen entwickeln.

Eine gewisse Stressresistenz hilft. Sie sollten in der Lage sein, Projekte auch mal schnell oder sehr schnell fertig zu stellen. Manchmal geht Schnelligkeit vor Perfektion.

Machen Sie sich klar, dass Sie in der Finanzbranche arbeiten. Sie werden wenig Idealisten finden, aber viele, die viel Geld verdienen wollen.