Wie geht das eigentlich?

Ob bei der Berufsentscheidung, Partnerwahl oder wenn es „nur“ darum geht, den eigenen Lebensstil zu finden: Wer achtsam mit sich umgeht, läuft weniger Gefahr, unzufrieden, misslaunig oder sogar krank zu werden.

Achtsamkeit bedeutet, dass man die eigenen Gefühle wahrnimmt und die eigenen Bedürfnisse erkennt. Dafür ist es erst einmal wichtig, diese Gefühle und Bedürfnisse zuzulassen, zu beobachten und ohne Wertung anzuerkennen. Dies ist das Schwerste am Achtsamkeitstraining, denn jede:r von uns wächst mit Prägungen und Vorbildern auf, die ständig Wertungen enthalten. Insbesondere in unserer schnelllebigen Leistungsgesellschaft internalisieren wir solche Wertungen und lernen unbewusst, unsere eigenen Empfindungen den Erwartungen von außen unterzuordnen – dann nennen wir Erfolg, Anerkennung und Wohlstand als Lebensziele, obwohl etwas in uns sagt, dass einfach mal ausruhen und den Himmel anschauen vielleicht auch toll wäre.

Zu lernen, auf sich selbst zu hören und die wahren Bedürfnisse unter der Oberfläche der internalisierten Erwartungen aufzudecken, kann schwierig sein, aber es lohnt sich. Es bedeutet auch, sich dem Moment der Wahrnehmung ganz hinzugeben: Was ist mir jetzt wichtig, was wünsche ich mir in diesem Augenblick oder dieser Lebensphase? Dass sich Bedürfnisse und Wünsche mit der Zeit ändern, weiß die Psychologie schon lange. Sich einzugestehen, dass das eigene Leben nicht auf die nächsten 40 Jahre hinaus planbar ist, bedeutet aber oft noch Überwindung – zumal die gern gestellte Frage“ Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“ genau diesem Impuls entgegenläuft.

Egal, um welche Entscheidung es geht: Der erste Weg zum achtsamen Umgang mit sich selbst ist die Bestandsaufnahme alles dessen, was ich als positiv an mir, meinem Wunschberuf, Reiseziel oder Lieblingsessen wahrnehme. Was mag ich, welche Vorlieben und Stärken habe ich, was in meiner Persönlichkeit spricht für den Job als Kunstschnitzer:in oder für den Wanderurlaub im Allgäu? Auch umgekehrt ist das Verfahren anwendbar: Welche Kriterien muss mein Traumberuf, mein Reiseziel, das Essen, was ich mir kochen oder bestellen möchte, erfüllen, damit er zu mir im gegenwärtigen Augenblick oder der aktuellen Lebensphase passt? Was wünsche ich mir von den Menschen, mit denen ich mein Leben teilen möchte, damit mir die Zeit mit ihnen guttut?

Eine Positivliste ist dabei sehr viel sinnvoller als eine Sammlung an Negativem, denn ein Ziel kann ich immer nur erreichen, wenn ich es positiv formuliere. Ich will jeden Tag eine neue Aufgabe haben ist besser zu verwirklichen als Ich will mich nicht langweilen, und Ich möchte etwas Süßes und Fruchtiges essen bringt mich meiner Bedürfnisbefriedigung deutlich näher als Hauptsache, keinen Blumenkohl.

Je weitreichender und gravierender die Entscheidungen sind, mit denen man konfrontiert ist, desto komplexer ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Wollen und Können. Es hilft, sich bestimmte Werte vor Augen zu führen, die im eigenen Leben eine Rolle spielen können. Dazu kann zum Beispiel aus solch einer Sammlung ausgewählt werden:

Weiterhin hilft es, sich die eigenen Visionen vor Augen zu führen und zu hinterfragen, warum ich mich mir selbst zum Beispiel gut als Unternehmensgründer:in, aber nicht als Polarforscher:in vorstellen kann. Eigenschaften wie Verantwortungsbewusstsein, Extrovertiertheit, Kommunikationsfreude, Ausdauer und so weiter können hierbei klarer zutage treten und dabei helfen, Entscheidungen zu treffen, mit denen man sich wirklich wohl fühlt: Wer begreift, dass er zwar gern kommuniziert, sich aber vor großen Gruppen höchst ungern präsentieren mag, der wird sich folgerichtig nicht für den Job als Dozent:in bewerben, wohl aber als Mitarbeiter:in in kleinen Teams.

Es ist sinnvoll, die Ergebnisse solcher Reflexionsprozesse einmal zu visualisieren – als Mindmap, als Vision Board, Poster oder als Timeline. Hier kann dann auch festgehalten werden, wann welche Ziele verwirklicht werden wollen: In fünf Jahren möchte ich in die USA reisen, mit 30 Vater werden, spätestens mit Mitte vierzig Professor:in sein. Wie schon gesagt: Solche Zielsetzungen können sich ändern, aber zunächst geht es darum, sich über die eigenen Wünsche und Werte zum augenblicklichen Zeitpunkt klar zu werden und damit Orientierung und Perspektiven zu entwickeln. Wenn die Zielsetzungen mit positiven Begründungen verknüpft werden – etwa: Archäologie studieren, weil ich schon mit fünf für Dinosaurier geschwärmt habe oder Mathe studieren, weil ich seit der Grundschule immer in die Endrunde der Mathe-Olympiade komme -, dann dient das der Vergewisserung über die sichere Grundierung dieser Ziele. Sie entspringen einem Ich, das über sich selbst Bescheid weiß, und sind eben nicht das Ergebnis eines Strebens nach Erfüllung externer Erwartungen. Ein solches Ich findet sich in der Welt zurecht und trifft Entscheidungen – im Großen wie im Kleinen – die ihm oder ihr gut tun.