Interview

Was macht eigentlich eine Rechtsanwältin?

Was macht eine selbständige Anwältin?

Im Grunde das, wo die jeweiligen Interessenschwerpunkte liegen – und womit sich auch Geld verdienen lässt. Meine Fachgebiete sind Familienrecht, Erbrecht und Agrarrrecht. Ich vertrete also MandantInnen mit Problemen in diesen Bereichen, das heißt vor allem, dass ich mich über ihre Fälle, die diesbezügliche Rechtslage und alles, was dazu gehört, informiere, Anträge und Schriftsätze verfasse, Gerichtstermine wahrnehme und so weiter. Weil es ständig Änderungen bei den Gesetzen und in der Rechtsprechung gibt, muss man sich als Anwalt auch immerzu fortbilden und nachfragen: Welche Maßstäbe gelten gerade, welche Rechtsprechung gilt? Das ist viel Aufwand und frisst wahnsinnig viel Zeit, aber man muss sich eben bewusst sein, dass das nicht nur ein Job ist, den man so erledigt, sondern dass die Menschen, die zu mir kommen, echte Probleme haben, die ihnen und damit auch mir enorm wichtig sind. Dadurch, dass es immer etwas dazu zu lernen gibt, wird es natürlich auch nie langweilig. Wir Anwälte sind alle sehr gut vernetzt, weil wir vom Austausch untereinander sehr profitieren, aber es bleibt unglaublich zeitaufwändig.

Im Unterscheid zu einem Anwalt in einer Großkanzlei kann ich mir aber sowohl meine Zeit selbst einteilen als auch meine Fälle aussuchen, beides natürlich nur in einem gewissen Rahmen. Der Preis dafür ist eine gewisse finanzielle Unsicherheit, oder Unausgewogenheit – sehr viel Arbeit steht eher nicht ganz so viel Verdienst gegenüber. Aber meine Unabhängigkeit ist mir das wert, und ich bin nicht so der Typ für Großkanzleien. Ich möchte immer gern selbst entscheiden und Verantwortung übernehmen.

Wann wusstest du, dass du einmal diesen Beruf ergreifen würdest?

Dass ich Jura studieren wollte, wusste ich schon in der 11. Klasse, weil ich ein Jahr zuvor eine Amnesty-Jugendgruppe gegründet hatte und unbedingt in dem Bereich Menschenrechte aktiv bleiben wollte. Wenn man so etwas machen möchte, ist die einzig anerkannte Berufsgruppe, die da irgendetwas erreichen kann, die der Juristen.

Dass ich Anwältin werden möchte, war mir tatsächlich erst am Abend meines 2. Staatsexamens klar, als mich ein Freund fragte, ob ich mit ihm zusammen in eine Kanzlei gehen würde. Dabei ist es dann auch geblieben.

Welche Inhalte oder Themen haben dir in der Ausbildung, vorher in Schule und Freizeit und jetzt im Beruf besonders viel Spaß gemacht?

Was mich immer schon interessiert hat, war die Beschäftigung mit straffälligen Jugendlichen. Jugendstrafrecht und die dahinterstehenden Konzepte, Strafe überhaupt finde ich ein spannendes Thema. Ich habe mir jedes sich bietende Seminar ausgesucht, in dem Haftanstalten besucht wurden, um „hinter die Kulissen“ schauen zu dürfen, und auch der Umgang mit psychisch auffälligen Straftätern ist ein Bereich, den ich sehr spannend finde und fand. Letztlich setzt sich darin sehr deutlich ja das Thema Menschenrechte fort, denn darum geht es auch hier in unserem Land: Die Rechte eines Menschen betreffen immer auch seine Würde, und die gilt es zu verteidigen, indem wir Menschen zu ihrem Recht verhelfen. Ich habe damals über amnesty interantional auch mitgewirkt an der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs, mit all seinen Begrenzungen finde ich ihn eine unheimlich wichtige Institution.

Was ist das Besondere am Jura-Studium?

Ich würde sagen, die Sprache. Es ist wirklich alles sehr speziell, die Sprache, das Denken, die Strukturierung, das ist so eine ganz eigene Herangehensweise an Probleme, mit der man zunächst meist sehr unvertraut ist. Im Studium kam mir das noch komisch vor, aber vom ersten Tag im Referendariat an hatte ich Gewissheit, dass all dies wirklich sinnvoll ist. Weil diese spezielle Sprache die Kommunikation in juristischen Relationen letztendlich erleichtert. Sie öffnet überhaupt erst den Weg, dass man sich unterhalten und gewiss sein kann, ungefähr über das Gleiche zu sprechen. Wobei bei jeder Thematik ja trotzdem immer noch eigene Prägungen, Haltungen und Ansichten eine wesentliche Rolle spielen. Das Recht ist eine erstaunlich unsichere Sache – selbst da, wo die Bedeutung eines Wortes oder einer Sache klar ist, ist das eigene Verständnis von diesem Wort, ob es einem bewusst ist oder unbewusst, immer noch zentral. So kommt es, dass wenn drei Juristen zusammenkommen und sich streiten, immer mindestens vier Ansichten zum selben Problem vertreten werden.

Wo arbeitest du momentan?

In einer Kanzlei mit vier KollegInnen. Wir haben ganz unterschiedliche Schwerpunkte, dadurch können wir viel abdecken, aber wir sind eben jeweils selbständig. Das heißt, wir können bei jeder MandantIn und jedem Fall selbst entscheiden, ob wir ihn vertreten wollen. In der Regel ist das kein Problem, aber wenn ich in einem Fall merke, dass die Ansichten zum Beispiel darüber, was jetzt für ein Kind gut ist oder nicht, völlig auseinandergehen, dann sage ich meinen Mandanten auch, dass da unter Umständen eine Grenze dessen erreicht ist, was ich vertreten kann und will. Das ist wichtig, finde ich, damit man wirklich gut arbeiten kann.

Wie viel Zeit verbringst du mit welchen Tätigkeiten?

Die allermeiste Zeit verbringe ich mit Recherchen und mich in die durchaus umfangreichen Fälle hineinarbeiten – Lesen, Lesen, Lesen. Dazu kommt der Papierkram, Anträge schreiben und so weiter, und natürlich die vielen Gespräche und Telefonate mit den Mandanten sowie die Termine vor Gericht. Insgesamt komme ich bestimmt auf eine 60 Stunden Woche, weil ich eben auch noch mal die Wochenenden durcharbeite oder am Abend, selbst wenn die Kinder noch nicht im Bett sind, Emails beantworte oder sogar einen Anruf erledige. Die Work-Life-Balance ist als selbständige Anwältin eher nicht so gegeben, eigentlich gar nicht. Trotzdem liebäugeln meine Kinder, gegenüber denen ich immer ein schlechtes Gewissen hatte, interessanterweise nun damit, auch Anwalt beziehungsweise Anwältin zu werden.

Ist das ein Nachteil an deinem Beruf?

Auf jeden Fall, zumindest, wenn man ihn so versteht und lebt wie wir. Ich nehme meine MandantInnen eben sehr ernst und stecke da auch voll drin; das erfüllt mich und macht mir auch Spaß, aber es ist eben unheimlich zeitraubend. Das Geld, das man damit verdient, steht dazu nicht unbedingt im Verhältnis.Das ist wirklich ein Klischee, dass man als Anwalt automatisch viel verdient. Das hängt ganz wesentlich davon ab, in welchem Bereich man arbeitet – oder ob man zahlungskräftigen Mandanten hat.

Gibt es noch mehr Nachteile?

Manchmal braucht man schon ein dickes Fell. Es gibt Fälle, die gehen einem wirklich unter die Haut. Da muss man auch Enttäuschungen aushalten können, auch das Gefühl, dass das Recht nicht so entscheidet, wie ich es mir für meinen Mandanten wünschen würde. Das wiederum muss man seinem Mandanten vermitteln. Recht ist leider nicht immer Gerechtigkeit. Diesen Spruch gab es schon im alten Griechenland und er gilt immer noch.

Und ich muss ständig priorisieren, weil es immer viel zu viel Arbeit auf einmal gibt: Meistens kann man nicht so nach Plan arbeiten, wie man sich das vorgenommen hat, sondern es kommt immer irgendwas dazwischen, was ganz besonders dringend ist. Natürlich haben wir oft auch Fristsachen, manche davon sind sehr strikt, andere etwas weniger, da muss ich dann schnell entscheiden können, was wann erledigt werden muss und was ich noch ein bisschen aufschieben kann. Priorisieren zu können, ist sozusagen überlebenswichtig, weil man ständig neu organisieren muss, ständig auf irgendwas reagieren.

Was ist denn besonders toll an deinem Beruf?

Dass es nie langweilig wird. Es sind immer neue Fälle, immer neue Menschen, immer neue Inhalte, die man sich anlesen und erarbeiten muss. Und zu jedem dieser Menschen baut man ja irgendwie eine Beziehung auf. Wenn es gut läuft und ich diesen Menschen erklären kann, warum ein Sachverhalt so und nicht anders ist, dann ist das schon mal sehr schön, obwohl das nicht immer angenehm ist. Im Recht und in der Gesetzgebung sind ja auch immer Maßstäbe verkörpert, Rechtsprechung ist nie neutral. Persönlich bin ich darüber oft unglücklich, aber ich kann dann nur versuchen, die Interessen meiner Mandanten im Rahmen dieser Gesetze so gut wie möglich zu wahren. Weil ich alle meine Fälle mit großer innerer Überzeugung vertrete, entstehen unheimlich intensive Beziehungen zu den verschiedensten Menschen – das ist wirklich toll.

Was würdest du anderen Menschen raten, die deinen Beruf ergreifen wollen?

Nur zu!! Aber man muss sich bewusst sein, dass es viel, viel Arbeit ist und finanziell zumindest am Anfang auch eine Durststrecke sein kann – zumindest, wenn man selbständig ist. Eine ausgewogene Work-Life-Balance sieht anders aus!  Man muss also vielleicht schon mit viel Leidenschaft in diesen Zweig des Berufes gehen, dann ist es sehr erfüllend und auf jeden Fall immer spannend.